Landgericht Ravensburg: Nutzung von Fingerabdrücken zur Entsperrung beschlagnahmter Mobiltelefone ist rechtmäßig

Das Landgericht Ravensburg hat mit Beschluss vom 14. Februar 2023 (Az. 2 Qs 9/23 jug, hier abrufbar bei Burhoff) bestätigt, dass die Beschlagnahme des Mobiltelefons des Beschuldigten sowie die Abnahme und Nutzung seiner Fingerabdrücke zum Entsperren des Telefons rechtmäßig sind.

Der Beschuldigte wird eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verdächtigt, insbesondere der Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des versuchten unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln. Im Rahmen der Ermittlungen wurde sein Zimmer durchsucht und sein Mobiltelefon beschlagnahmt.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ravensburg legte der Beschuldigte Beschwerde ein, insbesondere gegen die Anordnung zur Abnahme und Nutzung seiner Fingerabdrücke zum Entsperren seines Telefons. Das Landgericht entschied jedoch, dass die Beschwerde unbegründet ist.

In seiner Begründung stellte das Gericht fest, dass die Voraussetzungen des § 81b Abs. 1 gegeben sind. Die angeordneten Maßnahmen sind von der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage gedeckt und verhältnismäßig. Die Anordnung zur Abnahme von Fingerabdrücken des Beschuldigten auch gegen seinen Willen und die Anordnung zur Nutzung der hieraus resultierenden biometrischen Daten für Zwecke der Entsperrung des Mobiltelefons finden ihre Grundlage in § 81b Abs. 1 StPO.

Im Wortlaut heißt es:

Durch die offene Formulierung wird erreicht, dass sich der statische Gesetzeswortlaut an den jeweiligen Stand der Technik anpasst (vgl. Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, S. 193 (194)). Mit der „technikoffenen“ Formulierung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass auch solche Maßnahmen gedeckt sind, die dem gesetzlichen Leitbild der Abnahme und Verwendung von äußeren körperlichen Beschaffenheitsmerkmalen zu Identifizierungs- oder Tat nachweiszwecken entsprechen (vgl. Rottrneier/Eckel, NStZ 2020, S. 193 (195)). Im weiteren Sinn kommt der Nutzung der festgestellten Fingerabdrücke zum Entsperren eines Mobiltelefons auch eine Identifizierungsfunktion zu (vgl. ebenda).

Landgericht Ravensburg, 2 Qs 9/23 jug

Das Gericht betonte, dass die Abnahme und Verwendung von Fingerabdrücken zum Entsperren des Mobiltelefons notwendig und mithin verhältnismäßig ist. Insbesondere bleibt das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege zurück.

Die Identifizierungsfunktion wird hier im Unterschied zum klassischen Fall des § 81b StPO allerdings nicht unmittelbar zum Führen eines Tatnachweises verwendet, sondern als Zwischenziel zur Erlangung der für den Nachweis erforderlichen gespeicherten Daten. Inwieweit die Maßnahme notwendig für das Strafverfahren ist, ist eine Frage der noch zu thematisierenden Verhältnismäßigkeit. Die Verwendung von biometrischen Körpermerkmalen zur Entschlüsselung von Daten durch einen Abgleich mit den im Endgerät hinterlegten Schlüsselmerkmalen ist deshalb auch vom Wortlaut umfasst (vgl. ebenda; LG Baden-Baden Beschluss vom 26. November 2019 – 2 Qs 147/19; Goers in: BeckOK StPO, 46. Edition, 01.01.2023, § 81b Rn. 4.1).

Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die Speicherung der Fingerabdrücke von nur kurzer Dauer ist und der Zweck der Maßnahme mit dem Entsperren des Mobiltelefons erreicht ist. Zudem ist zu beachten, dass es sich um eine offene Ermittlungsmaßnahme handelt und der Beschuldigte eine Tat vorgeworfen wird, die die Grenze eines Bagatelldelikts deutlich übersteigt.

Anmerkung:

Die Entscheidung behandelt die rechtliche Frage der biometrischen Entsperrung von Daten im Strafverfahren. Gemäß § 81b StPO ist es zulässig, Lichtbilder, Fingerabdrücke und ähnliche Maßnahmen beim Beschuldigten aufzunehmen, entweder zum Zweck des Strafverfahrens oder des Erkennungsdienstes. Der Beschuldigte muss nicht aktiv daran mitwirken, aber zwangsweise durchgeführte Maßnahmen dulden. Es ist jedoch umstritten, ob § 81b StPO auch zur Entsperrung biometrischer Verschlüsselungen verwendet werden kann. Die Ansichten in der Literatur sind geteilt. Der Normtext selbst bezieht sich eindeutig nicht auf biometrische Entschlüsselungsversuche. Einige argumentieren, dass § 81b StPO für die Entsperrung verwendet werden kann (so vertreten von Rottmeier/Eckel NStZ 2020, 193 (195 f.), während andere dies ablehnen (Nadeborn/Irscheid StraFo 2019, 274f.; Neuhaus, StV 7/2020, 489f.; Grzesiek/Zühlke, StV-S 3/2021, 117f.). Das Hauptziel der Norm ist die Identifizierung des Beschuldigten für die weitere Verwendung im Strafverfahren. Es ist jedoch fraglich, wie diese weitere Verwendung im Verfahren gestaltet werden kann und ob sie auch bei informationstechnischen Systemsperren relevant ist.

Obwohl das strafrechtliche Analogieverbot im Strafprozessrecht möglicherweise nicht gilt (umstr.), ist der Anwendungsbereich von § 81b StPO nicht eröffnet, da er ein anderes Ziel verfolgt. Auch wenn die nach § 81b StPO gestattete Entnahme von Fingerabdrücken eine scheinbare Nähe aufweist, ist zu bemängeln, dass die Fingerabdrücke zur Identifizierung des Beschuldigten und nicht zum Zugriff auf Daten erhoben werden. Es handelt sich um eine zweistufige Maßnahme, bei der das Gerät im ersten Schritt entschlüsselt wird und dann in einem zweiten Schritt auf die entsperrten Daten zugegriffen wird. Die klare Unterscheidung zwischen Identifikationsmaßnahmen und Beweissicherungsmaßnahmen ist ein zwingendes Erfordernis des Strafprozessrechts. Die nun entschlüsselten Daten dürfen nicht wie von vornherein unverschlüsselte Daten behandelt werden, da dies die betroffenen Rechtsgüter und Grundrechtspositionen nicht berücksichtigt.

Aus hiesiger Sicht fehlt es de lege lata weiterhin an einer Rechtsgrundlage für die zwangsweise biometrische Entsperrung; insbesondere § 81b StPO ermächtigt die Ermittlungspersonen nicht zum Auflegen des Fingers auf einen Fingerabdruckscanner unter Anwendung von unmittelbarem Zwang.

Dr. Mathias Grzesiek
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Posted by Dr. Mathias Grzesiek

Dr. Mathias Grzesiek ist Partner der auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Rosinus | Partner Rechtsanwälte PartG mbB in Frankfurt/M. Er berät und verteidigt nationale und internationale Unternehmen sowie Privatpersonen in allen Fragen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts. Neben seiner Anwaltstätigkeit ist er Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.